Zuletzt geändert am 3. Oktober 2024 von Christina Brandstätter
Gehen. Einen Fuß vor den anderen setzen. Das natürlichste der Welt – oder? Hast du schon einmal bewusst wahrgenommen, welcher Teil deines Fußes zuerst aufsetzt? Oder ob du über den Großzehballen ordentlich abrollst und mit dem abdrücken zum nächsten Schritt ansetzt? Belastest du eher die Innen- oder Außenkante deines Fußes? Wie vieles andere auch ist der Fersengang eine erlernte Art des Gehens. Sie wird uns schon von Kindesbeinen an von unseren Eltern vorgelebt und anerzogen. Viele Trainer – inklusive ich selbst – und Physiotherapeuten lernen und lehren diese Art zu Gehen. Warum? Weil wir es so gelernt haben. Doch ist das gelernte immer das Richtige? Gibt es vielleicht noch andere, besser, schonendere, gesündere Möglichkeiten? Ja, die gibt es immer wieder. Nichts ist für die Ewigkeit. Und so wundert es mich kaum, dass dies gerade ein heiß diskutiertes Thema ist. Doch ist der Ballengang wirklich so ideal?
Inhaltsverzeichnis
Ballengang als Trend?
Wohl kaum. Nach einiger Recherche bin ich auf Dr. med. Hand-Peter Greb gestoßen, der sich schon seit 1974 mit diesem Thema beschäftigt. Und zwar, weil er selbst über seine „lauten“ Schritte erschrocken war und somit zu hinterfragen begann. Er kam zu dem Schluss, dass unsere übliche, angelernte Gangart – der Fersengang – nicht nur unnatürlich ist, sondern auch krank macht. Angefangen von Gelenksbeschwerden über Lernschwäche bis hin zu Atemwegsbeschwerden und Allergien.
Die Befürworter vom Ballengang verteufeln den Fersengang als wirbelsäulenschädigend, unphysiologisch, als Zeichen mangelnder Leichtigkeit, usw. Die Befürworter vom Fersengang hingegen – und wer konnte das wohl ahnen– sagen so ziemlich genau das gleiche über die Ballengänger.
Im Normalfall gehst du – so wie die Mehrheit der Menschen um dich herum – im Fersengang. Du hast es so gelernt. Und wahrscheinlich auch noch nie in Frage gestellt. Aber hast du schon mal Kleinkinder bei ihren ersten Gehversuchen beobachtet? Oder (Ballett)Tänzer/innen? Was machst du beim Rückwärtsgehen? Wie steigst du Treppen? Und wie gehst du Bergauf? Was machst du, wenn du dich ganz leise und unbemerkt an jemanden oder etwas heranschleichen möchtest? Wie verhälst du dich bei spitzen, kleinen Steinen bzw. bei einem Untergrund, der erwartungsgemäß Schmerzen verursachen könnte?
Wenn ich an meine Aerobic-Ausbildung zurück denke, fällt mir folgendes ein: Die Ausbildung hatte gerade angefangen, erster Tag, 40 Minuten zu spät (weite Anreise, Stau – ich erspar euch die Details). Als ich endlich fertig mit umziehen war und die Tür zum Kursraum öffnete, platze ich mitten ins Warm up. Jeder Teilnehmer musste kurz zeigen, wo er stand und was er bereits konnte. Einer der ersten Sätze, die meine Trainerin zu mir sagte, war: „Sportlicher Stil, wahnsinnig schöne Fußstreckung. Versuch beim nächsten Mal, über den Fußballen abzurollen“ (das bezog sich u.a. auf „Side-to-Side“).
Ich dachte mir damals schon „Hey, eigentlich hat sie nicht so unrecht. Meine Fußspitze zeigt ja ohnehin schon zum Boden, da ist es doch viel einfacher, wenn ich meinen Fuß einfach über die Zehen nach hinten abrolle“.
Richtig oder Falsch?
Es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt eine Entscheidung, die du für dich triffst. Der Unterschied zwischen Fersen- und Ballengang ist folgender (hier kannst du dir ein Bild dazu ansehen – erstes oben links):
Fersengang heißt: Die Ferse wird zuerst auf den Boden aufgesetzt und Richtung Zehenspitzen abgerollt.
Im Detail betrachtet bedeutet das:
- Ferse setzt auf
- Abrollen Richtung Zehenspitzen
- Dein Fuß liegt nun mit der gesamten Fußsohle am Boden auf
- Anheben der Ferse
- Abstoßen über den Vorfuß
- Jetzt schwebt dein Fuß über dem Boden und zeigt mit den Zehenspitzen Richtung Boden – das ist die natürliche Haltung deines Fußes in entspannter, hängenden Position
- Damit du wieder mit der Ferse für den nächsten Schritt aufsetzen kannst musst du zuerst deinen Vorfuß wieder anheben
- Alles wieder auf Anfang
Ballengang heißt: Zuerst wird der Vorfuß aufgesetzt, dann erst die Ferse.
Im Detail betrachtet bedeutet das:
- Da dein Fuß bereits in der natürlichen Haltung ist, setzt du mit dem Vorfuß auf. Eher vorne über die Außenkante.
- Abrollen Richtung Ferse
- Dein Fuß liegt nun mit der gesamten Fußsohle am Boden auf
- Anheben der Ferse
- Jetzt liegt es an dir, ob du den Vorfuß nur abhebst, oder dich leicht abstößt
- Dein Fuß hängt jetzt entspannt und locker in der natürlichen Haltung
- Alles wieder auf Anfang
Auch wenn beide Gangarten unterschiedlich sind, haben sie dennoch einen kleinen Part gemeinsam. Erkennst du ihn? Es ist der Punkt, wo dein Fuß – egal bei welcher Gangart – mit der gesamten Fußsohle am Boden aufliegt und die Ferse angehoben wird.
Versuch doch mal folgendes
Stell dich barfuß in einen Raum – oder auch draußen. Drinnen hörst du es vermutlich besser. Halte dir mit den Zeigefingern die Ohren zu und gehe munter drauf los. Wie immer. Ohne zu überlegen. Was hörst du? Vermutlich eine Wumm…wumm…wumm…wumm…
Das sind kleine Stoßwellen, die durch deinen Körper jagen. Bei jedem Schritt. Tag für Tag. Das birgt ein hohes Potential an Schädigungen am Bewegungsapparat.
Gleiche Ausgangssituation. Barfuß, ruhiger Raum (oder draußen), aber mit einem entscheidenden Unterschied. Jetzt gehst du bewusst im Ballengang. Was hörst du nun? Richtig! Stille! Keine Kleinen Stoßwellen. Deine Muskulatur ist quasi der Stoßdämpfer.
Die Cheops Pyramide ist rund 140 Meter hoch, hat eine Grundfläche von ca. 53.000 m² (das sind neun Fußballfelder) und ca. 2,5 Millionen Kalksteine. Jeder Stein wiegt 2,5 Tonnen. Die Granitblöcke lassen wir mal außer Acht. Warum das wichtig ist? Na, ich dachte ein wenig geschichtlicher Hintergrund kann nicht schaden. Quatsch! Dr. Greb hat berechnet, dass ein 80 jähriger Mann im Laufe seines Fersengang-Lebens das Gewicht der komplette Cheops Pyramide auf den Schultern trägt. Faszinierend! Wie er auf diese unglaubliche Zahl kommt? Zusätzlich zu unserem Körpergewicht kommen pro Schritt ca. 50 Kilogramm hinzu, die unseren Körper belasten. Pro Schritt 50 kg mehr, die auf unsere Knochenkette knallen. Pro 100 Schritte – und das hast du schon morgens bevor du deine Wohnung verlässt – 5 Tonnen! Wahnsinn, oder?
Es spricht so einiges für den Ballengang. Bereits im Kindesalter gehen wir instinktiv auf den Ballen. Auch die natürliche Haltung unseres Fußes gibt Grund zum Nachdenken. Lass deinen Fuß – ohne Schuhe – doch mal ganz locker hängen. Zeigt nach unten, nicht wahr? Und das wohl überzeugendste Argument für mich ist Stoßdämpferfunktion durch die Muskelkette.
Mein Selbstversuch
Zuerst machte ich natürlich den oben beschriebenen Versuch. Erstaunlich! Dabei fiel mir ein, dass ich das schon mal gemacht hatte. Bei meiner Pilates-Ausbildung. Unsere Trainerin hatte uns gebeten, einfach mal quer durch den Raum zu gehen. Eine Horde Elefanten wäre leiser gewesen. Zu dem Zeitpunkt war uns das nicht bewusst. Egal, ich schweife ab. Selbstversuch.
Die allerersten Gehversuche machte ich in meinem Freiluft-Büro. Mehr Motivation….mehr Energie…mehr Natur…und eine Abkühlung zwischendurch. Nach den ersten Versuchen – und ich kam mir wirklich albern vor, das könnt ihr mir glauben – bat ich meine Mum, die gerade nachhause gekommen war, mal zu schauen, ob ihr an mir, während dem Gehen, irgendetwas auffiel. Nichts. Nada. Niente. Ich war verblüfft. Ich hätte schwören können, dass man sofort sieht, was ich hier für einen Eiertanz veranstalte. Das einzige was dann doch noch kam war: „du gehst ein bisschen langsam“. Das kann ich nur insofern bestätigen, als dass man sich erst mal an diese „andere Art zu gehen“ gewöhnen muss. In den kommenden Tagen und Wochen beschränkte ich mich vorerst auf meine Wohnung. Ich musste mich ständig daran erinnern. Irgendwann klappte es dann ganz gut.
Ein paar Wochen später kann ich folgendes dazu sagen: Du gehst bewusster. Du gehst leiser. Du gehst langsamer. Wenn ich es eilig habe oder wieder mal ganz knapp irgendwo gerade noch rechtzeitig auftauche, verfall ich in alte Muster. In meinen Aerobic-Einheiten lasst sich das gut umsetzen – war quasi noch nie anders, ich habe es nur noch nie bewusst wahrgenommen. Ich weiß nicht, ob der Ballengang für mich alltagstauglich ist, ob sich dadurch Gelenksprobleme verbessern oder gänzlich vermeiden lassen oder ob Krankheiten (z.B. Venenleiden, Bandscheibenvorfälle, usw.) dadurch vermieden werden können. Dazu muss man wohl länger daran festhalten und gänzlich auf den Ballengang umsteigen. Aber wenn du z.B. in einer Mietwohnung wohnst, freuen sich deine Nachbarn bestimmt über dein neu erlerntes Gehverhalten. Und es tut deinem Gehirn gut. Erlernen eines neuen Musters oder Prozesse fordert und fördert deine grauen Zellen. Mit Flip-Flop würde ich euch diese Art zu gehen allerdings nicht empfehlen. Schon alleine deshalb werde ich wahrscheinlich nicht ganz auf den Fersengang verzichten können. Ich liebe Flip-Flops. Auch mit den gut gedämpften Sportschuhen von heute ist der Ballengang so eine Sache.
Mein Fazit: Ich werde den Ballengang sicher immer wieder einbauen. So oft es möglich ist. So oft ich daran denke. Wer möchte schon behaupten können, die Cheops Pyramide auf seinen Schultern getragen zu haben?
Good to know
- Lösung: gepolsterte, gedämpfte Schuhe! Haha, falsch gedacht. Wenn doch die Fersen gepolstert sind, wozu den Ballengang lernen? Obwohl die Fersen ordentlich gepolstert sind, nimmt der Körper die Schläge – wenn auch gedämpft – dennoch wahr, so leicht lässt er sich dann doch nicht austricksen. Zum Glück
- High Heels sind leider auch keine Lösung. Rein optisch imitieren sie den Ballengang. Aber es sieht leider nur so aus. Tatsächlich kommt auch hier zuerst der hintere Teil – der Absatz – des Fußes / Schuhes auf
- Beste Voraussetzung für den Ballengang: Barfuß laufen! Am besten auf Naturböden wie Wiese oder Wald
- Auf Asphalt ist Barfuss gehen nicht angenehm – zu heiß, zu schmutzig, oft zu gefährlich (Glasscherben). Hier könnten Barfuss-Schuhe helfen. Davon gibt’s mittlerweile schon eine riesige Auswahl, lass dich beraten, was für dich das Richtig ist
- Es kann sein, dass du, wenn du dich für den Ballengang entscheidest, dir erst mal einen ordentlichen Muskelkater einfängst. Deine Muskulatur muss sich erst an das Neue gewöhnen
- Auch beim perfekten Laufstil scheiden sich die Geister. Über Vorfuß, Mittelfuß oder über die Ferse laufen? Was stimmt? Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Entscheide selbst!
Ich bin Personal Fitness Trainerin, Groupfitnessinstructor, Skilehrerin, Bloggerin und liebe es, bewegt durchs Leben zu gehen. Ich bin neugierig, lerne gerne dazu und gebe mein Wissen und meine Erfahrung gerne weiter – genau das war auch der Startschuss für meinen Fitness Food & Lifestyle Blog. Schau dich hier ruhig in Ruhe um, berichte mir von deinen Erfahrungen, weis mich auf Fehlerteufel hin oder hinterlass mir gerne einen Kommentar.