Zuletzt geändert am 3. Dezember 2020 von Christina Brandstätter
Inhaltsverzeichnis
Der Beckenboden
Bei dem Wort Beckenboden denken viele Frauen erst mal an Post-Schwangerschaft-Workout oder Inkontinenz. Und die Männer fragen sich, ob sie so etwas überhaupt haben.
Liebe Frauen: ein starker Beckenboden ist nicht nur für eure Gesundheit äußerst wichtig, sondern hebt eure Männer beim Sex in andere Sphären, steigert eure Empfindungsfähigkeit und beflügelt eure sexuelle Lust.
Und liebe Männer: ja, auch ihr besitzt einen Beckenboden, dessen Training sich auch für euch lohnt. Ein starker, trainierter Beckenboden sorgt für mehr Standfestigkeit, intensiveres Gefühl im Penis und härtere & längere Erektionen. Das wiederum findet Frau nicht nur mental erregend, sondern sorgt gleichzeitig für intensivere Stimulation beim Sex.
Wenn das mal nicht überzeugende Argumente sind?
Das Wunder in 3 Lagen
Der Beckenboden ist eine 3-schichtige Muskelgruppe, die wir nicht sehen können. Und nur weil wir diese nicht sehen können, heißt das nicht, dass sie nicht existiert. Die Beckenbodenmuskulatur hat einerseits die Aufgabe festzuhalten und zu verschließen anderseits muss sie sich öffnen und loslassen. Gleichzeitig sorgt sie auch dafür, dass unsere Organe dortbleiben, wo sie hingehören und nicht „nach unten fallen“. Und auch in Liebesdingen hat diese Muskulatur ein Wörtchen mitzureden.
Auch bei anderen internistischen und neurologischen Grunderkrankungen (Schlaganfall, Atemwegserkrankungen, Parkinson, Diabetes, Übergewicht,…) kann sich ein Beckenboden-Training positiv auf die Gesamtsituation auswirken. Und was der Beckenboden mit Zwerchfell und Füßen zu tun hat, erzähl ich dir weiter unten.
Wie schon erwähnt haben sowohl Frauen als auch Männer einen Beckenboden. Der einzige Unterschied ist, dass diese sehr unterschätze Schicht bei uns Frauen durch Schwangerschaft und Geburt deutlich in Mitleidenschaft gezogen wird.
Der Beckenboden wird vom Becken (Pelvis) wie einen Rahmen umgeben. Die vier markantesten Grenzpunkte sind:
- Die beiden Sitzbeinhöcker (Os ischii)
- Das Steißbein (Os coccyx / Os coccygis)
- Das Schambein (Os pubis)
Zwischen diesen Grenzpunkten spannen sich verschiedene Muskeln von vorne nach hinten, von rechts nach links und bilden so eine feste, gitterartige Struktur. Dieses muskuläre Gewebe besteht aus 3 Muskelschichten. Du kannst dir diese Muskelschichten wie 3 einzeln übereinander gespannte Schwungtücher vorstellen. Je besser dein Beckenboden trainiert ist, desto „gespannter“ sind diese Tücher. Desto stabiler ist deine Mitte. Von dieser Mitte aus lassen sich alle Muskeln vernetzen, die das Skelett zusammenhalten und bewegen.
Zusammen sind die 3 Schichten ca. handtellerdick, liegen gitterförmig übereinander und bilden so ein dickes Netz. Der Mittelpunkt ist das Haltekreuz (Damm / Perineum). Das Perineum ist gut tastbar und liegt zwischen dem After und den äußeren Geschlechtsorganen (erogene Zone) – bei Frauen also zwischen After und Scheideneingang und bei Männern zwischen After und Hodensack. In entspanntem Zustand bilden diese 3 Schichten so eine Art Schüssel / Hängematte (vor allem der Levator ani). Beim Aktivieren / Anspannen heben sich diese Schichten nach oben hin an, weshalb man den Beckenboden auch einen Hebemuskel nennt.
Ein bisschen Anatomie muss sein…
Der Beckenboden bildet zusammen mit dem Zwerchfell das Zentrum der Tiefenmuskulatur. Der Beckenboden ist der reflektorische Antagonist (Gegenspieler) vom Zwerchfell (Diaphragma). Sowohl Beckenboden als auch Zwerchfell sind für die Bewegung und Stabilisierung der Weichteile und des gesamten Beckens verantwortlich. Sie bewegen keine Gelenke. Das Zwerchfell schließe den Bauchraum nach oben hin ab und senkt sich beim Einatmen nach unten hin ab (Kontraktion). Der Beckenboden begrenzt den Bauchraum nach unten hin und hebt sich nach oben hin an, wenn er angespannt wird.
Von oben (kranial) nach unten (kaudal) verlaufend:
- Innere Schicht – Das Beckenzwerchfell (Diaphragma Pelvis) (oberste 3. Schicht)
- Mittlere Schicht – Das Zwerchfell der Harn- und Geschlechtsorgane (Diaphragma Urogenitale) (2. Schicht)
- Äußere Schicht – Die Schwellkörper- und Schließmuskelschicht – (Sphinkterenschicht) (1. Schicht)
Ob jetzt die innere Schicht als 1. Schicht oder als 3. Schicht gesehen wird, liegt immer im Auge des Betrachters. Deshalb innere, mittlere und äußere Schicht – so gibt’s keine Verwechslungsgefahr.
Nur wenn die Wirbelsäule aufgerichtet – im Lot – ist, kann der Beckenboden zu 100% aktiviert werden
Die innere (tiefe) Schicht: „Der Fächer“
Diese Schicht verläuft großflächig, fächerförmig vom Schambein bis zum Steißbein → die Muskeln ergeben ein U. In der Mitte des U bleiben Öffnungen für After, Harnröhre und – bei der Frau – Scheide frei → Levatortor (Levatorschlitz). Der Fächer liegt unten im knöchernen Beckenring und schließt das Becken nach unten hin ab (Beckenausgang). Die innere Schicht spielt eine – im wahrsten Sinne des Wortes – tragende Rolle für Stütz- und Tragefähigkeit der inneren Organe und Eingeweide. Gebildet wird diese Muskelschicht vor allem vom dem aus 4 Muskelzügen bestehenden Musculus levator ani (Afterhebemuskel), dem heimlichen Chef des Beckenbodens. Der Spannungszustand des Beckens hängt von diesem Hebemuskel ab und hat somit erheblichen Einfluss auf die Statik.
Muskeln
- Musculus levator ani (Anusheber) – mit seinen 3 Anteilen
- Musculus puborectalis (U-förmige Schlinge um den After)
- Musculus pubococcygeus (PC-Muskel oder Liebesmuskel)
- Musculus iliococcygeus
- Musculus bubovaginalis (bei der Frau – U-förmige Schlinge um die Scheide)
- Musculus levator prostatae (beim Mann)
- Tiefere Schicht: Musculus coccygeus und Musculus piriformis
Der Musculus levator ani ist an der Vorderseite des Körpers mit der Bauchmuskulatur, seitlich mit den Hüftmuskeln und hinten mit den Rückenmuskeln verbunden. Ist der Musculus levator ani fit, hat die Wirbelsäule Halt, ein ordentliches Fundament. Von diesem Fundament aus kann sich die Wirbelsäule nach oben hin aufspannen. Dieses Aufspannen aktiviert die Tiefenmuskulatur. Auch Hüften und Beine werden entlastet.
Die mittlere Schicht: „Das Dreieck“
Das Dreieck ist die zweite Schicht und verläuft quer oberhalb der ersten Schicht. Sie bildet den vorderen Teil des Beckenbodens und verbindet die Sitzbeinhöcker miteinander. Hauptsächlich besteht diese Schicht aus dem großen Damm-Muskel und hat die Aufgabe, unseren Rücken zusammenzuhalten und jenen Druck, der von oben kommt, abzufangen. In der Schwangerschaft vollbringt dieser Muskel wahre Meisterleistung: er trägt das Kind 9 Monate und kann sich in unglaublichem Maße dehnen. Das Diaphragma urogenitale gleicht die konstruktive Schwäche, die durch den spaltförmigen Levatorschlitz (Levatortor – Hiatus levatorius) besteht, aus.
Muskeln
- Musculus transversus perinei profundus (Muskelplatte; tiefer, querer Damm-Muskel)
- Musculus transversus perinei superficialis (Querverspannung des Beckenbodens)
Die äußere Schicht: „Die Acht“
Die Acht ist die erste, unterste Schicht, direkt unter der Hautoberfläche. Sie grenzt den Bauchraum nach unten hin ab und verläuft vom Schambein zum Steißbein. Die äußere Schicht ist für den Verschluss der Körperöffnungen verantwortlich und hat somit einen entscheidenden Einfluss auf die Kontinenz.
Muskeln
- Musculus bulbospongiosus (Schwellmuskel)
- Musculus sphincter ani internus (innerer Afterschließmuskel)
- Musculus sphincter ani externus (äußerer Afterschließmuskel)
- Musculus ischiocavernosus (IC-Muskel, Flügelmuskel)
Die mittlere und die äußere Schicht sind am Damm mit der innersten, flächenmäßig größten und wichtigsten Schicht, dem Levator ani, verbunden. Der musculus levator ani ist bei Frauen und Männern identisch angelegt. Wenn der musculus levator ani kräftig und trainiert ist, entlastet er die beiden anderen Sichten, welche sich dann voll und ganz ihren Aufgaben widmen können.
Der Beckenboden, der Chef des muskulären Netzwerks
Der Beckenboden ist nicht nur unser Zentrum, unser Power-House (Pilates Fans wissen wovon ich spreche), der insgeheime Superheld, sondern ein echter Teamplayer. Kein Wunder also, dass Joseph H. Pilates sein Konzept um genau dieses Kraftzentrum herum aufgebaut hat.
Muskeln (und somit auch Faszien) arbeiten vernetzt
Der Beckenboden ist quasi unsere Zentrale. Die Zentrale ist entweder direkt oder indirekt mit allen Körperteilen in Kontakt und hat mal mehr, mal weniger Einfluss. Zwickts im Nacken? Versuchs mit Beckenboden-Training. Schmerzt das Knie? Versuchs mit Beckenboden-Training. Seitenstechen beim Sport? Versuchs mit Beckenboden-Training. Wenns nicht hilft, schadet es zumindest nicht…so wie das Faszien-Training…oder Taping…
Oft wird erst reagiert, wenns Probleme gibt oder Schmerzen zum Dauergast werden. Was machst du, wenn dein Knie plötzlich schmerzt? Du hast keine Ahnung warum, hast nichts ungewöhnlich gemacht, keinen Unfall, nichts Erwähnenswertes…du redest dir vielleicht ein, dass es am Alter oder am Wetter liegt? Dass es im Alter verschleißbedingt zu Wehwehchen kommt, ist kein Geheimnis. Das muss offenbar so sein (Anmerkung des Autors: Autor verdreht die Augen und holt mal tief Luft). Irgendwann entscheidest du dich, das doch abklären zu lassen. Was wird gemacht? Logisch, dein Knie wird inspiziert. Denn da drückt ja der Schuh. Dass der Auslöser aber ganz wo anders sitzen kann, kommt dir nicht in den Sinn? Natürlich ist ein Beckenboden-Training kein Allerheilmittel, aber leider wird diese kleine Power-Zentrale viel zu oft vernachlässig, belächelt oder gar ignoriert. Und mal ehrlich – ausprobieren hat noch niemandem geschadet.
Wo genau der Beckenboden helfen und unterstüzen kann, für wen das Training empfehlenswert ist und wie man dieses „unsichtbare Ding“ erst mal findet und dann auch noch trainiert, erfährst du in den nächsten Beiträgen.
Hier mehr zum muskulären Netzwerk:
- Der Beckenboden – ein unterschätzes Netzwerk
- Checkliste – für wen ist das Beckenbodentraining geeignet?
- Die Aktiviertung des Beckenbodens
- Das Beckenboden-Training
- Frage-Antwort-Quickie rund um den Beckenboden
Ich bin Personal Fitness Trainerin, Groupfitnessinstructor, Skilehrerin, Bloggerin und liebe es, bewegt durchs Leben zu gehen. Ich bin neugierig, lerne gerne dazu und gebe mein Wissen und meine Erfahrung gerne weiter – genau das war auch der Startschuss für meinen Fitness Food & Lifestyle Blog. Schau dich hier ruhig in Ruhe um, berichte mir von deinen Erfahrungen, weis mich auf Fehlerteufel hin oder hinterlass mir gerne einen Kommentar.